Die Theiß in Gefahr
Wasser gilt als Quelle des Lebens.
Trotzdem werden Flüsse von Industrie und Kommunen überall auf der
Welt als Abwasserrinne benutzt. Mikroorganismen können eine geringfügige
Verschmutzung intakter Gewässer verarbeiten. Wenn aber schlagartig
tonnenweise giftige Industriechemikalien eingeleitet werden,
bedeutet das eine Katastrophe. Viele Jahre können bis zur
Regeneration vergehen. Zahlreiche Flüsse der Erde haben sich nach
wiederholten Katastrophen und ständiger Verseuchung durch
hochkonzentrierte Giftstoffe nicht erholen können. In Rumänien
sind 3900 Flußkilometer für tot erklärt worden. Dieses Schicksal
droht jetzt dem zweitgrößten Fluß Ungarns, der 700 km langen Theiß.
Für Großaufnahmen bitte auf den gewünschten
Ausschnitt der Karte bzw. Legende klicken. Danke.
Nach der Cyanidkatastrophe Ende
Januar 2000 soll nun für die Theiß und ihre Ökosysteme ein
Regenerationsprogramm ausgearbeitet werden. Ein ungarischer
Regierungsbeauftragter und Expertenteams von EU und UNEP haben sich
der Sache angenommen, es gibt zahlreiche weitere Hilfsangebote.
Trotz aller Bemühungen wird das Projekt scheitern, wenn im
Einzugsgebiet der Theiß verantwortliche Regierungen und Behörden,
Industriebetriebe und Kommunen nicht dafür sorgen, daß weitere Störfälle
vermieden werden und die schleichende Vergiftung des Flusses aufhört.
Die Erstellung eines Regenerationsprogramms würde die Kenntnis der
Gefahrenstellen voraussetzen. Anschließend müßten im Rahmen einer
gesamteuropäischen Zusammenarbeit größte Anstrengungen
unternommen werden, um die Risiken zu beseitigen. Berichte über Störfälle
und Flußverschmutzungen der letzten Jahre im Bereich der
Wassersystemen der Theiß-Nebenflüsse machen deutlich, wie ernst
die Lage wirklich ist.
Die Aurul-Katastrophe Ende Januar
2000 war nicht der einzige Störfall in einer rumänischen Mine.
Bereits eine Woche später leitete die Firma Remin SA in Baia Mare
cyanidhaltiges Wasser in den Lapus, die in den Tisza-Nebenfluß
Somes (Szamos) fließt. Auch aus dem Metallverarbeitungsunternehmen
Romplumb SA in Baia Mare gelangen häufig Schwermetalle und
Giftstoffe in den Lapus. Sechs Wochen nach der Cyanidkatastrophe
brach in der Blei- und Zinkmine in Baia Borsa ein Damm, 20.000
Tonnen Giftschlamm wurde in den Theiß-Nebenfluß Viseu (Visó)
geleitet. In einem der vier Remin-Minen in Borsa gab es bereits 1997
einen schweren Dammbruch.
Ende Dezember 1999 wurde aus der Mine
Baia de Aries mehrere Tausend Kubikmeter cyanidhaltiges Wasser in
den Fluß Aries und anschließend in den Theiß-Nebenfluß Maros (Mures)
geleitet. Das Metallverarbeitungskombinat Industria Sârmei in Câmpia
Turzii leitet alle ihre Abwässer in den Aries. Eine weitere
Cyanidkatasrophe ist in den Auffangbecken der Goldminen von Brad,
Abrud und Zlatna nicht auszuschließen. Der letzte Störfall in Brad
ereignete sich im Mai 1998, als der Theiß-Nebenfluß Crisul-Alb (Körös)
stark mit Cyaniden und Schwermetallen verschmutzt wurde. Die
Uranminen nahe Brad gelten ebenfalls als Bedrohung für diesen Fluß.
In Zlatna verursachte das Edelmetallverarbeitungskombinat Ampelum im
Februar 1998 durch Schwefeloxide die Zerstörung von 47 Tausend
Hektar Ackerland und 193 km Flußlandschaft. Metallhütten in der
Umgebung von Hunedoara verunreinigen regelmäßig den Mures (Maros).
In Tirnaveni entstand im Dezember 1999 durch einen Störfall im
Bicapa-Kombinat eine 20-fache Grenzwertüberschreitung von Chrom,
das Gift erreichte auch den Mures. Auch in der Slovakei arbeiten am
Tisza-Nebenfluß Hórnad (Hernád) bei Kosice Magnesit- und andere
Erzminen, auch hier wird bei Schwermetallen über Grenzwertüberschreitung
im Flußwasser berichtet. Aus dem slowakischen Teil der Bodrogebene
wurde in Februar 2000 eine Cyanidverschmutzung gemeldet. Über die
Arbeitsweise der ukrainischen Goldmine in Muzhievsk ist wenig
bekannt. Im Fall einer Katastrophe wäre auch hier der Fluß Tisza
sehr stark betroffen.
Der rumänische Umweltminister gab im
Juni 1999 auf einem Symposium in Bukarest bekannt, daß Flußabschnitte
in einer Gesamlänge von 320 Kilometer infolge der Erdölverschmutzung
der letzten Jahre vernichtet worden sind. Erdölvorkommen bei
Suplaco de Barcau sind die Haupt-Verschmutzungquellen des Flusses
Barcau (Berettyó). Erdölraffinerien in Oradea leiten einen Teil
ihrer Produkte regelmäßig in die Schnelle Kreisch (Crisul Repede,
Sebes-Körös).
Neben Minen und
Erzverarbeitungsbetrieben entnehmen auch Chemie- und Papierfabriken
den Flüssen viel Wasser und leiten es mit giftigen Stoffen versetzt
in die Natur zurück. Die größten Verschmutzer von Fließgewässern
im Einzugsbereich der Theiß sind die Papierfabrik Somesul am Somes
(Szamos) in Dej, das Chemieunternehmen in Turda am Aries, die
Arzneimittelfabrik Terapia in Cluj-Napoca am Somesul Mic (Kis-Szamos),
wo sich im Januar 2000 ein größerer Störfall ereignete, das
Chemiekombinat Azomure in Tirgu Mures am Mures, Chemiefirmen mit
veralteter Technologie in der Umgebung von Dr.Petru Groza und das
Chemiekombinat Sinteza in Oradea an der Schnellen Kreisch (Crisul
Repede).
Die Geflügelverarbeitungskombinate
Avicola Pui Carne, Avimar SA und Avistar SA bei Baia Mare haben in
Juli 1999 ein großes Fischsterben im Lapus ausgelöst, ähnliches
ereignete sich im Januar 2000 in Cluj-Napoca am Crisul-Mic (Kis-Szamos)
durch die fahrlässige Arbeitsweise des Schweinezuchtbetriebes in
Bontida. Ein veraltetes Wärmekraftwerk in der Nähe von Velke
Kapusany in der Slowakei gilt als weitere tickende Ökobombe. Auch
kommunale Abwässer u.a. im südungarischen Szeged setzen dem
kranken Fluß Theiß schwer zu. Daneben existieren zahlreiche andere
Gefahrenquellen, die noch identifiziert werden müssen.
Judit Kanthak
|