Theorien über den Krankheitserreger

Nach der z.Zt. von vielen Wissenschaftlern favorisierten Prionen-Theorie wird (B)SE nicht von einem Virus, sondern von einem Prion (proteinaceous infectious particle) genannten Eiweißpartikel ausgelöst. Revolutionär ist die Vorstellung, daß Material ohne eine zur Replikation ausreichende Menge an Nukleinsäuren infektiös wirken kann. Dem Modell zufolge stellt das infektiöse Prion (Pi) die Proteinase-resistente Isoform eines zellulären Glykoproteins (Pz) dar, das v.a. auf Nervenzellmembranen zu finden ist. Seit kurzem wird ihm eine physiologische Funktion bei der Modulation der synaptischen Übertragung zugeschrieben. Die Prion-Formen scheinen sich nicht in ihrer Aminosäuresequenz, sondern hauptsächlich in ihrer räumlichen Faltstruktur zu unterscheiden, was auch erklären würde, warum eine Immunantwort nach Infektion ausbleibt. Die unlösliche pathologische Form besitzt zu über 50% beta-Faltblattstruktur und läßt die alpha-Helixstruktur der physiologischen Form bei Kontakt in die eigene Konformation "umklappen". Auf diese Weise "vermehrt" sie sich ohne die Einbeziehung biologischer Erbinformation. Dann lagern sich die nun gegen eine 
Verstoffwechselung resistenten Pi zu den typischen Fibrillen zusammen. Beim Tod der Zelle (der Mechanismus ist noch unklar) werden die neu gebildeten Pi freigesetzt. Sie katalysieren nun ihrerseits die Umwandlung weiterer Pz. Durch den Untergang der Nervenzellen entstehen die "Löcher", die zur Degeneration des Zentralen Nervensystems beitragen. Tierversuche zeigten, daß Organismen ohne die - offenbar nicht essentiellen - 
zellulären Prionen auch bei massiver Erregerexposition "immun" sind. Neben der Interaktion mit zugeführten Pi, kann die Konversion der Prionen auch spontan (sporadisches Auftreten der CJD) entstehen. Dabei scheint eine genetische Prädisposition von großer Bedeutung zu sein (Punktmutation im Gen des Prion-Proteins). Anderen Hypothesen liegt das Vorhandensein besonders kleine Viren oder die Funktion der Prionen als Cofaktor für - noch nicht nachgewiesene - Nukleinsäuren (Virino-Theorie) zugrunde. Gefahr für den Menschen? Offensichtlich besitzen die Erregers übertragbarer spongiformer Encephalopathien generell die Fähigkeit zum Überspringen von Speziesbarrieren, wie das Beispiel von BSE und durch kontaminierte Futtermittel infizierter Zookatzen in GB zeigt. Außerdem gelang es bei mehreren Tierarten, die Krankheit durch experimentelle 
Applikation infektiösen Materials ins Gehirn auszulösen. Eine Übertragbarkeit auch auf den Menschen kann demnach nicht ausgeschlossen werden.
Gegen eine Gefährdung durch Scrapie spricht ein Versuch, bei dem einigen der dem Menschen stammesgeschichtlich sehr nahestehenden Schimpansen Scrapie-Erreger ins Gehirn gespritzt wurde. Auch nach einer Inkubationszeit von über 26 Jahren zeigten sie keinerlei Symptome.
Zur Abschätzung des Risikopotentials von BSE wird in neueren, noch nicht abgeschlossenen Experimenten mit transgenen Mäusen, die das menschliche Prion bildeten, gearbeitet. Auf das intracerebrale Einbringen von BSE-Erregern zeigen sie - im Gegensatz zu ihrer Reaktion auf CJD-Erreger- bislang keine Symptome. Gefahr durch Nahrungsmittel? Daß der Mensch - zumindest innerhalb seiner Spezies und mit hochinfektiösem Material - auch durch orale Aufnahme mit spongiformer Encephalopathie infiziert werden kann, zeigt der Übertragungsweg des Kuru-Kuru-Erregers (nach Aufgabe des rituellen Kannibalismus veschwand die Krankheit weitestgehend). Welches Risiko birgt also der Verzehr von Lebensmitteln tierischer Herkunft, besonders von Rinder- und Schafsprodukten? Mit einer nahrungsmittelbedingten Übertragung des SE-Erregers vom Schaf auf den Menschen wird der wissenschaftlichen Literatur zufolge nicht gerechnet. Die Häufigkeit der CJD ist annähernd gleich auf alle Länder verteilt, sie zeigt weder eine Abhängigkeit von der regional höchst unterschiedlichen Durchseuchung (s. England versus Neuseeland) der Schafherden mit dieser "alten" Krankheit, noch von Ernährungsgewohnheiten. Die gleichen epidemiologische Daten sprechen auch gegen die orale Übertragbarkeit von BSE. Außerdem wurde aus GB - wie aus den anderen EU-Staaten - bislang keine sign. Erhöhung der CJD-Neuinfektionen gemeldet. Bei der Interpretation künftiger Befunde sollte eine mögliche Verzerrung aufgrund verbesserter Untersuchungsmethoden und eines gewissen "Sensibilisierungs-Effektes" durch die aktuelle Diskussion nicht unberücksichtigt bleiben. Hier allerdings kann noch keine Entwarnung gegeben werden, da die Inkubationszeit beim Menschen ca. 10 Jahre (bei der Übertragung von einer fremdartigen Spezies wahrscheinlich noch länger) beträgt. Eine seit neuestem aus England bekannte CDJ-Variante mit niedrigerem Erkrankungsalter sorgt für Beunruhigung. Daß, laut Bericht der Tagespresse, bereits das erste Opfer, an dem H.J. Creutzfeldt 1913 die nach ihm benannte Krankheit 
diagnostizierte, im Alter von 23 Jahren verstarb, wird z. Zt. durch die Sichtung historischer Artikel überprüft. Durch Verfütterung des hochinfektiösen ZNS-Gewebes gelang die Übertragung von BSE-Erregern auf Rind, Schaf, Ziege, Nerz, Katzenartige und Maus. Wie tierexperimentell gezeigt wurde, ist das ein Erkrankungsrisiko um so höher, je mehr Ähnlichkeit zwischen infektiösen Prionen und denen des Wirtes besteht. Die 
Aminosäuresequenz von Schafs- und Rinderprion unterscheidet sich in 7 Positionen, die von Rind und Mensch in 30. Die Inkubationszeit und die benötige Erreger-Dosis verhalten sich umgekehrt proportional zum Grad der Prionen-Homologie. Welche Gewebe erkrankter Rinder sind infektiös?
Im Mäusetest zeigten lediglich Gehirn und oberes Rückenmark Wirkung, nicht hingegen Muskelfleisch, Milch, Lymphknoten, Milz, Euter, Plazenta und Leukozyten. Oral gegebenes BSE-Prion erwies sich im Gegensatz zu direkt ins Gehirn gespritzem bei Mäusen als recht ineffektiv (ein um den Faktor 100.000 geringeres Infektionsrisiko), die benötigten Mengen waren sehr groß. Bei Laboranalysen infizierter Rinder soll der BSE-Erreger bisher nur in Gehirn, Rückenmark sowie Nerven- und lymphatischem Gewebe nachwiesen worden sein. Weder im Muskelfleisch noch in Milch oder Sperma wurden pathogene Prionen gefunden. Vermutlich gelangen sie vom Verdauungstrakt über das Lymphsytem ins Gehirn der Tiere.
In die Praxis übertragen, halten die vorgestellten Forschungsergebnisse dazu an, auf den Verzehr von Produkten aus Hirn, Rückenmark, Mandeln, Milz, Thymus, Magen-Darm-Trakt (bzw. generell von Innereien) potentiell BSE-befallener Tiere zu verzichten. Von offizieller Seite wird empfohlen, sich beim Schlachter nach der Herkunft von Fleisch und Wurst zu erkundigen, da von Fleischprodukten heimischer Tiere keine Gefährdung zu erwarten sei. Die Bundesregierung habe den sog. Tierpaß für Rinder obligatorisch eingführt, mit dem der Weg vom Kalb bis zur Rinderhälfte im Schlachthof nachvollzogen werden könne. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht auch von Milch und Milchprodukten sowie Gelatine keine Gefahr aus. Letztere wird als Lebensmittelzusatz sowie im Pharmabereich (Arzneikapseln) verwendet. Nach Angaben der deutschen Gelatine-Industrie wird der überwiegende Teil der in Deutschland verwendeten Gelatine aus Schweineschwarten hergestellt. Die 
Rindergelatine stamme von gesunden, zum Verzehr freigegebenen Tieren und werde obendrein im Rahmen der Verarbeitung Behandlungsschritten unterzogen, die eventuell vorhandene Prionen inaktiviere. Vorsicht scheint am ehesten bei vor dem Exportverbot Mitte 1989 oder illegal 
importierten britischen Rindern angebracht zu sein.Auch von falsch deklarierten Futtermitteln oder Rinderprodukten - wie Hirn und Innereien - könnte eine Gefahr ausgehen. Die Einfuhr von Rindfleisch aus den GB betrug 1990 1,4 t, 1994/'95 hingegen nur noch 0,5 t/Jahr. 

Datum:April 1996
Quelle:Informations-und Dokumentationsstelle am Institute für Ernährungswissenschaft der Justus-Liebig.Universität Gießen